Konflikt, Körper, Klasse: Gesellschaftliche Transformationen zwischen Politik und Ökologie in der Literatur
Tagung, 24.-26. Juni 2026, Bergische Universität Wuppertal
Organisation: Dr. Sabrina Huber (sahuber@uni-wuppertal.de), Dr. Antonia Villinger (anto-
nia.villinger@fau.de)
Der Blick in die Geschichte zeigt, dass gesellschaftspolitische Transformationsprozesse häufig
eng mit ökologischen Fragestellungen verwoben sind. Zu denken ist etwa an die Durchsetzung
der Forstgesetze und die Institutionalisierung der modernen Forstwirtschaft im 18. und 19. Jahr-
hundert. In diesem zeitlichen Kontext zeigt das ebenso die Agrarreformen, die die Umvertei-
lung von Landbesitz, Bauernbefreiung und die Auflösung feudaler Strukturen evozierten und
zugleich neue Formen von Bodenbewirtschaftung hervorbrachten. Umbrüche wie die Industri-
alisierung und die damit einhergehende Transformation von Landschaften durch Urbanisie-
rung, Umweltverschmutzung und Ressourcenausbeutung zeigen ebenso eine enge Verschrän-
kung von politischen und gesellschaftlichen Um- und Neustrukturierungen mit ökologischen
Dimensionen. Auch die großen Energie- und Infrastrukturprojekte der Nachkriegszeit und die
Umweltbewegungen seit den 1970er-Jahren in der BRD und DDR verdeutlichen das enge
Wechselverhältnis von Natur und Politik. Derzeitiger Kumulationspunkt finden sich in den po-
litischen sowie sozialen Auseinandersetzungen um die Klimakrise.
Gesellschaftliche Transformationen dieser Art sind politische, ökologische oder ökonomische
Prozesse, aber sie sind auch in hohem Maße kulturelle und narrative Phänomene: Sie werden
in Erzählungen imaginiert, gedeutet, stabilisiert oder auch irritiert. Literatur als Medium kultu-
reller Reflexion bildet demnach gesellschaftliche Transformationen nicht nur ab, sondern mo-
delliert sie aktiv mit: Das zeigt sich etwa an der Gattung des Sozialen Romans im Vormärz,
welche sich vor und nach der Revolution aktiv mit den politischen Neuerungen auseinander-
setzt, oder jüngst der Gattung Climate Fiction, die immer wieder auch alternative Gesellschafts-
modelle und Zukunftsszenarien entwirft. Literatur schreibt entsprechend an diesen Verände-
rungsprozessen mit, erzählt Brüche, Kontinuitäten, Konflikte, Neuordnungen und Möglichkei-
ten gesellschaftlichen Wandels und wirkt so auch aktiv auf gesellschaftliche und demokratische
Prozesse ein.
Gemeinsam wollen wir die Wechselverhältnisse von politischen, gesellschaftlichen und ökolo-
gischen Aspekten in der Literatur vom Revolutionsjahr 1848 bis zur Gegenwart in den Blick
rücken und diskutieren, inwiefern ökologische und politische Dynamiken gerade in demokrati-
schen Aushandlungsprozessen eng miteinander verbunden waren und es weiterhin noch sind.
1848 haben wir als Beginn gewählt, da es einen politischen Einschnitt markiert: Zum einen
wurden jetzt erstmals in größerem Maßstab Forderungen nach Freiheit, demokratischer und
sozialer Teilhabe öffentlich artikuliert. Zum anderen fällt diese Umbruchszeit mit tiefgreifen-
den sozioökonomischen Veränderungen zusammen, die auch Natur- und Ressourcenzugänge
betrafen und sich vor allem in Klassenkonflikten manifestierten. Die im Rahmen der Tagung
angestrebte diachrone Rekonstruktion solcher Narrative soll es ermöglichen, gesellschaftliche
Transformationen im Kontext von Demokratie und Mensch-Natur-Verhältnissen zu erfassen.
Im Zentrum sollen dabei drei Schlüsselkonzepte stehen, da wir in ihnen einen Verbindungs-
punkt der Themenschwerpunkte sehen:
- Konflikt fungiert als Signatur von Transformation. Erzählungen strukturieren gesell-
schaftliche Brüche über Konfliktnarrative wie etwa Debatten um politische
Partizipation, um soziale oder ökologische Gerechtigkeit oder um die Zukunft politi-
scher Ordnung. Konflikt wird dabei sowohl thematisch als auch strukturell wirksam: Er
bildet die narrative Dynamik von Texten, ordnet temporale Abläufe und erzeugt Span-
nung und Bewegung. - Körper wird als materieller, symbolischer und politischer Bezugspunkt gesellschaftli-
cher Transformation verstanden. Literatur inszeniert Körper als Schauplätze von Herr-
schaft und Befreiung, als Speicher sozialer Erfahrungen und als Orte politischer Ausei-
nandersetzung. Die Tagung interessiert sich für Verflechtungen von Körper und gesell-
schaftlicher Transformation, dabei sollen im Anschluss an ökokritische Ansätze nicht
nur menschliche Körper, sondern auch Natur-/Landschaftskörper und planetare Körper-
lichkeit in den Blick rücken. - Klasse wird doppelt fokussiert: Zum einen wollen wir in der traditionell-marxistischen
Reflexion soziale Klassenverhältnisse – also beispielsweise Fragen von Eigentum, Ar-
beit und Ausbeutung – betrachten, zum anderen auch neue Klassenzusammensetzungen,
etwa den von Schulz und Latour vorgeschlagenen Begriff einer „ökologischen Klasse“
oder neue Kosmologien, in den Blick nehmen.
Wegeweisend – aber nicht auf diese limitiert – sind Forschungsbeiträge aus den Environmental
und Energy Humanities, den Material Studies, aber auch aus dem Bereich der Class Studies,
Intersektionalität und der Literatursoziologie. Beiträge könnten sich beispielsweise mit folgen-
den Fragen befassen:
- Narrative Ordnungen gesellschaftlicher Transformation: Literarische Entwürfe und Erzählverfahren
politischen, sozialen oder ökologischen Wandels, etwa Kontraktfiktionen, Revolutionserzählungen
oder Narrative demokratischer Neugründung. - Poetiken gesellschaftlicher Übergänge, Umbrüche und Instabilitäten: Erzählformen
und ästhetischen Verfahren, mit denen Literatur Wandel darstellt: von Fragmentierung,
Montage und Polyphonie bis hin zu Gattungsreflexionen wie dem Manifest, der Flug-
schrift, dem politischen Roman oder der Climate Fiction. - Verflechtungen von Körper, Geschlecht und Gesellschaft: Inszenierungen von Materi-
alität und Körpern als Konflikt- und Aushandlungsorte solcher Transformationen. - Klassendynamik in gesellschaftlichen Umbrüchen: Reflektionen über soziale, ökono-
mische und ökologische Ungleichheiten oder kollektiver Mobilisierung; neue Klassen-
begriffe im Kontext von Klima und Anthropozän, wie die ökologische Klasse
(Schulz/Latour), oder Vorstellungen von kosmologischen Kollektiven. - Alternative Gesellschaftsimaginationen oder Modelle des Zusammenlebens: Literari-
sche Entwürfe neuer Gesellschaftsmodelle, von Verträgen und Utopie, über Gemein-
schafts- und Kooperationsnarrativen oder nichtmenschlicher Kollektive. - Temporalität und Räumlichkeit von Konflikt- und Wandelerzählungen: Strukturen spe-
zifischer Zeit- und Raumkonzepte, wie etwa narrative Ordnungen der Dauerkrise, der
Kippmomente, Zeiten der Orientierung oder Zukunftsblockade, Erzählfiguren der Ver-
langsamung oder Beschleunigung oder Räume des Aufbruchs. - Materialitäten und Ästhetiken gesellschaftlicher Transformationen: Inszenierungen ma-
terieller Relationen, Stofflichkeiten und Körperlichkeiten als dynamische Faktoren ge-
sellschaftlicher Umbrüche.
Die Tagung findet vom 24–26. Juni 2026 in Wuppertal statt. Reise- und Übernachtungskosten
können voraussichtlich übernommen werden. Eine Veröffentlichung der Beiträge wird
angestrebt. Bitte senden Sie Ihre Vorschläge (max. 400 Wörter) für einen 25-minütigen Beitrag
sowie eine kurze biobibliographische Notiz in einer Datei bis zum 10. November 2025 an: Dr.
Sabrina Huber: sahuber@uni-wuppertal.de oder Dr. Antonia Villinger: antonia.villin-
ger@fau.de.